Seit mehr als 20 Jahren kreiert die Französin Emilie Coppermann Düfte für namhafte Modehäuser wie Balmain, Burberry und Givenchy. Bei ihrem Debüt für Comme des Garçons musste die Parfümeurin komplett umdenken


Rei Kawakubo, Gründerin und Designerin von Comme des Garçons, zählt zu den rätselhaftesten Frauen der Modewelt. Wie muss man sich die Zusammenarbeit mit jemandem vorstellen, der so öffentlichkeitsscheu ist?

Ich habe Rei nie persönlich getroffen. Sie bleibt auch für mich die Frau im Verborgenen und kommuniziert mit mir nur durch Christian Astuguevieille, der als Creative Director die Düfte von Comme des Garçons verantwortet. Das mag nach außen komisch wirken, ich finde das aber überhaupt nicht tragisch. Ganz im Gegenteil. Man sagt nicht umsonst: Je weniger du sprichst, desto mehr wird dir zugehört. Da ist etwas Wahres dran. Rei macht keinen Laut, aber sie weiß sich auszudrücken.

Mit „Floriental“ haben Sie zum ersten Mal einen Duft für Comme des Garçons komponiert. Wie lautete Ihr Briefing?

Das war ziemlich skurril. Christian hat mir sehr viele Freiheiten gelassen, mit einer Ausnahme: Er wollte unbedingt ein Parfüm ohne Blumen und ohne Vanille haben – obwohl es später „Floriental“ heißen sollte. Da steckt die Blume schon im Namen, und bei „Oriental“ denke ich natürlich gleich an sinnliche Vanilledüfte.

Ein professionelles Tabuspiel.

Ja, ich habe wochenlang hin und her überlegt, wie man einen floralen Duft ohne Blumen machen könnte, und bin bei meinen Recherchen auf die Zistrose gestoßen. Aus den Blättern und der Rinde dieses Strauchs wird für gewöhnlich Labdanum gewonnen. Ein aromatisches Harz, das bei vielen Düften zum Einsatz kommt. Das eigentlich spannende an der Zistrose sind aber ihre weißen, völlig geruchlosen Blüten, die mir im Kopf als Leinwand dienten. Ich überlegte mir, wie wohl ihr Bouquet sein könnte. Rei Kawakubo hat in den Neunzigern mal ein simples weißes T-Shirt mit vier Ärmeln entworfen. Dieser kompromisslose Ansatz hat mich auch bei der Kreation von „Floriental“ inspiriert.

Bei Comme des Garçons sind alle Düfte unisex. Wie gelingt Ihnen der Spagat zwischen männlichen und weiblichen Facetten?

Den gibt es gar nicht. Im Mittleren Osten gilt der Geruch von Rosen als absolut maskulin. Und Brasilianer hingegen empfinden Lavendel, eine Zutat vieler Männerdüfte, als sehr feminin. Selbst wenn ich die für unsere Nasen gefühlt richtige Balance gefunden hätte, muss das nicht heißen, dass man es anderswo genauso empfindet. Ich habe schon Männer getroffen, die sehr feminine Düfte getragen haben und damit überhaupt nicht weibisch auf mich wirkten.

Also sollten Männer Frauendüfte ausprobieren?

Ein Duft kann immer wieder überraschen, man nimmt ihn an einem Mann anders wahr als an einer Frau. Außerdem entwickeln sich Parfüms auf jeder Haut anders. Obwohl das keine neue Erkenntnis ist, überrascht sie mich immer wieder. Möglicherweise finden Frauen einen durchschnittlichen Damenduft an einem Mann sogar ziemlich sexy.

Ich merke, Schubladendenken liegt Ihnen gar nicht.

Das schränkt doch ein. Ich liebe es zu experimentieren. Als ich vor Jahren „Eau de Lalique“ kreieren sollte, wollte mein Auftraggeber eigentlich ein feminin-frisches Eau de Toilette. Weil ich aber Holznoten so sehr liebe, griff ich zu allererst zu orientalischen Ölen. Ziemlich männlich und würzig, das komplette Gegenteil also. Ich habe dann aber so lange herumprobiert, bis das Ergebnis schließlich in die Kategorie weiblich-frisch passte. Ähnlich habe ich auch Düfte für Paco Rabanne entwickelt. Nur so können wirklich neue Dinge entstehen. Wer sagt, er könne mit einer gewissen Zutat nicht arbeiten, weil sie zu sehr in die eine oder andere Richtung schlägt, der weiß einfach nicht damit umzugehen. Denken Sie nur an Yves Saint Laurent, wie er den Smoking für Frauen salonfähig machte. Ein typisch männliches Kleidungsstück, die Trägerin sah darin aber trotzdem weiblich und extrem sexy aus.

Modetrends ändern sich von Saison zu Saison. In der Parfümwelt wird hingegen selten propagiert, alle müssten diesen Herbst zum Beispiel unbedingt einen Zedernduft tragen. Warum ist das so?

Ich würde die beiden Welten nicht zwingend vergleichen. „Chanel No. 5“ oder „Guerlain Mitsouko“ sind schon knapp 100 Jahre auf dem Markt – und immer noch sehr erfolgreich. Das gibt es in der Mode nicht. Ein Kleid von 1915 ist heute nicht mehr tragbar.

Sind Menschen gegenüber Düften treuer als gegenüber Kleidung?

Ich denke schon. Für mich sind Gerüche viel emotionaler als visuelle Dinge, etwa Bilder oder Mode. Kleidungsstücke sind eher rational. Man redet über Rocklängen und Schnittführung. Die Parfümkunst unterliegt ganz anderen Regeln.

Es fällt dennoch schwer zu glauben, dass gerade das „Millionengeschäft Parfüm“ keinerlei Trendregeln unterliegt.

Eine Bewegung kann man in der Tat beobachten: die Sucht nach bestimmten Zutaten. Nachdem „Angel“ von Thierry Mugler 1992 auf den Markt kam, konnten viele Frauen gar nicht genug von diesen zuckrig-süßen Noten bekommen. Jüngere Beispiele wären „La Vie est Belle“ und „La Nuit Trésor“ von Lancôme. Männer hingegen suchen häufiger nach salzigen Aspekten, wie man sie in Nüssen und Kräckern findet. Es reicht scheinbar nicht mehr aus, Schokolade und Knabbereien zu konsumieren, wir wollen auch danach duften.

Haben Sie eine bestimmte Person im Kopf, wenn Sie ein Parfüm wie „Floriental“ entwickeln?

Comme des Garçons ist eine Marke mit so viel Freigeist. Es gibt die 90-jährige Kundin genauso wie den jungen Mann in den Zwanzigern. Da fällt es schwer, an eine konkrete Person zu denken. Ich konzentriere mich eher auf Erinnerungen – Erinnerungen an Situationen oder Orte, die ich selbst besucht habe. Und auf die Hauptzutaten, wie etwa die Zistrose.

Sie hatten in Ihren inzwischen mehr als 20 Berufsjahren nie eine Muse, oder?

Nicht im klassischen Sinne. Meine Musen kommen und gehen. Heute kann es der sein, morgen vielleicht Sie. Allerdings möchte ich gern mal ein Eau de Parfum mit und für Daniel DayLewis entwerfen.

Und was mögen Sie gerade an Daniel Day-Lewis?

Er verschmilzt völlig mit seiner Rolle, wird zu der Figur, die er spielt. Wie beispielsweise in „Lincoln“. Ich durfte ihn schon einmal treffen. Er hat fast gar nichts gesagt, ist total schüchtern und zurückhaltend, obwohl er so ein großer Star ist. Das hat mich sehr beeindruckt, denn so ähnlich sehe ich auch meine Rolle als Parfümeurin. Ich darf mich am Ende des Tages auch nicht so wichtig nehmen. Das Kreieren eines Dufts ist zwar etwas sehr Persönliches, wenn er aber fertig ist, gehört er nicht mehr mir. Andere sollen ihn dann tragen und in ihr Leben integrieren. Ich finde diesen Prozess des Loslassens und des sich selbst Zurücknehmens extrem wichtig.

Und wie würde Ihr Parfüm für Daniel Day-Lewis riechen?

Mystisch und facettenreich. Und wenn man das Parfüm morgens aufträgt, würde es ganz anders duften als abends. Nicht einfach zu erfassen. Dieser Duft hätte viele Gesichter, eben genau wie Daniel Day-Lewis.

Diese Interview erschien erstmals 2015 in L'Officiel Hommes.

Foto: Symrise